“Das Mysterium der Materie” von Lili Kolisko

“Die Tragik des Materialismus ist, dass er die Materie nicht begreift.“

Dr. Rudolf Steiner

Diese schwerwiegenden Worte sprach einst Dr. Steiner aus, und sie machten einen unauslöschlichen Eindruck auf mich. Der Materialismus, der sich nur beschäftigt mit der Materie, er ist nicht imstande, die Materie zu begreifen. Was ist denn die Materie? Die Materie ist sichtbar gewordener, verdichteter Geist und an den Geist kann der Materialismus nicht glauben. Also kann er auch an die Materie nicht glauben.

Unter dem Begriff Materie fasst man alles das zusammen, was man messen und wägen kann, dessen Existenz man physikalisch oder chemisch feststellen kann. Der Chemiker und Physiker anerkennt nur das „Physische“ als Materie, das heißt sie kommen im Grunde genommen mit ihren Gedanken nicht aus dem festen Aggregatzustand heraus. Es mag dies etwas paradox klingen, aber wenn man es sich überlegt, wird man mir vielleicht doch recht geben können. Nehmen wir irgendeine Flüssigkeit. Ist die Flüssigkeit für den Chemiker oder Physiker eine Flüssigkeit? Etwas Homogenes, etwas Neues, etwas absolut anders als ein fester Körper? Nein. Man analysiert die Flüssigkeit und sucht ihre Bestandteile auf. Diese stellt man sich fest vor. Die Flüssigkeit ist formlos, sie nimmt die Form des Gefäßes an, aber die Elemente der Flüssigkeit, die Atome und Moleküle von H und O, stellt man sich wieder körperlich vor. Die Moleküle stoßen einander, sie ziehen sich an und stoßen sich ab. Es sind Körper, die eine gewisse Struktur haben für die Chemiker. Desgleichen die Gase.

Auch sie sind nicht etwas total anderes, als ein fester Körper oder eine Flüssigkeit. Sie bestehen wieder aus Molekülen und Atomen die aufeinander einen Druck ausüben, sich schlagen und stoßen usw. Es wird also überall etwas Einheitliches, Zugrundeliegendes gesucht. Das Atom, das Molekül, die Jonen oder Elektronen. Irgendetwas, das man sich körperlich vorstellen kann.

Was hat diese Denkweise zur Folge? Der Mensch bleibt am Körperlichen, am Physisch-Stofflichen hängen. Er kann sich nicht über die Erde erheben. Der Materialist begreift eigentlich schon die Flüssigkeit als solche nicht. Es ist ein ungeheurer Unterschied zwischen einem festen Körper und einer Flüssigkeit. Der feste Körper ist unterworfen der Erdengesetzmässigkeit. Er wird gewissermaßen ein Bestandteil der Erde selber. Die Flüssigkeit steht nicht mehr allein unter dem Einfluss der Erde, sondern unter dem Einfluss des gesamten Planetensystems. Wir finden im zweiten Naturwissenschaftlichen Kurs, den Dr. Rudolf Steiner hielt, folgende bedeutungsvolle Sätze: „die Kräfte, die sich geltend machen in einem flüssigen Körper, in dem Wasser, die sind nicht bloß von der Erde herrührend, sondern von dem Planetensystem. Da wirken hinein die Kräfte von Merkur, Mars, Venus usw. in dem, was flüssig ist.“ Wer das nicht Weiß, kann niemals die Flüssigkeit verstehen.

Im reinen Wasser ist wirksam das ganze Planetensystem. Nimmt man ein Stück Eisen, metallisches Eisen, dann wissen wir ja, dass es seinen Ursprung verdankt den ungestörten Einwirkungen von Mars auf die Erde. Aber so wie es vor uns liegt, das metallische Eisen, ist es unterworfen den Erdenkräften. Lösen wir das Eisen auf, bringen wir es wieder unter den planetarischen Einfluss, dann hat man im eisenhaltigen Wasser eine Substanz vor sich, auf welche das ganze Planetensystem wirken kann, besonders aber Mars. Nehmen wir dieses eisenhaltige Wasser und verdünnen es rhythmisch, so finden wir, dass die Eisenwirkungen erhalten bleiben, ja sogar gesteigert werden.

Hier stehen wir in der Tat vor dem Mysterium der Materie, wenn wir den Begriff der Potenz erfassen wollen. Die rhythmische Verdünnung der Materie nennen wir eine Potenz, das ist eine Kraft. Wir können soweit die Verdünnung treiben, dass keine chemischen und physikalischen Mittel mehr den „Stoff“ nachweisen können. Aber z.B. im Pflanzenwachstum können wir die „Wirkung“ der Substanz noch zeigen.

Der Mensch steht gegenüber der Welt des Stoffes, er steht gegenüber der Erde. Er hat eine Verpflichtung als Mensch gegenüber dem Stoffe. Was kann der Mensch mit dem Stoff machen? Er kann ihn entweder noch tiefer hinunterstoßen in das Irdische, oder er kann ihn hinaufheben ins Geistige. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das man als Mensch haben kann gegenüber verschiedenen wissenschaftlichen Bestrebungen. In alten Zeiten da sprach man von den vier Elementen, welche die Welt aufbauen, von Erde, Wasser, Luft und Feuer, wobei man unter „Erde“ eben alles Feste verstand. Heute kann man ungefähr 90 Elemente, das sind Grundstoffe, die sich nicht weiter zerlegen lassen. Einige Elemente sind den Menschen noch verborgen und man bemüht sich heiß, diese noch aufzufinden. Welchen Weg geht die Wissenschaft; führt sie die Materie hinauf zum Geiste oder zerrt sie die Materie hinunter ins Irdische? Da möchte ich nur hinweisen auf die Elemente, deren Natur es eigentlich entspricht sich aufzulösen in Flüssigkeit oder in Luft und die man mit Gewalt in den festen Zustand hineintreibt und künstlich festhält. Das Gas soll eben nicht Gas sein, man versucht es zu „verflüssigen“, die Flüssigkeit soll nicht Flüssigkeit sein, man gefriert sie zum festen Körper. Das Unsichtbar soll sichtbar und greifbar gemacht werden. Also heruntergeführt soll das Geistige werden in das Stoffliche.

Was tut nun ein Mensch, der einen Stoff potenziert? Er löst das Feste, er nimmt das Kleid, die Hüllen ab von einer verborgenen Kraft und bringt diese Kraft zum Strömen, zum Wachsen, er macht aus dem toten Stoff ein Heilmittel. Die Materie, der in der Materie verborgene Geist neigt sich wieder herunter zum Menschen und heilt seine Krankheiten. Wir erschließen im Potenzierungsprozess die Heilkräfte der Substanz.

Der Potenzierungsprozess ist ein rhythmischer Prozess, darauf bin ich schon des Öfteren zu sprechen gekommen. In dem Vortragszyklus, den Dr. Rudolf Steiner vom 21. März bis 9. April 1920 für Ärzte und Medizinstudierende hielt, sprach er auch über homöopathische Heilmittel. Es heißt da: „In der Natur beruht alles auf rhythmische Prozessen.“ Das ist ein Satz, dem man lange nachsinnen kann und dessen Tiefe unerschöpflich ist. Der Prozess der Potenzierung ist ebenfalls ein rhythmischer Prozess, also ein Naturprozess, der vom Menschen vollzogen wird, oder vielleicht besser ausgedrückt, in die Wege geleitet wird. Will man verstehen, was der Potenzierung zugrunde liegt, dann muss man sich vorerst ein Verständnis erwerben für rhythmische Prozesse überhaupt. Alles in der Natur beruht auf rhythmischen Prozessen, der Mensch geht nur achtlos daran vorüber. Teils sind ihm die Naturereignisse so selbstverständlich geworden, dass er nicht mehr darüber nachdenkt, teils erkennt er sie nicht in ihren rhythmischen Zusammenhängen. Wir haben kosmische Rhythmen, wir haben irdische Rhythmen (das sind irdisch gewordene kosmische Rhythmen), wir haben das Ineinander spielen von irdischen und kosmischen Rhythmen. Sehen wir hinaus in die Natur, wir finden das gesamte Wachstum hineingestellt in den Rhythmus der Jahreszeiten. Ein ständiges Blühen und Verwelken. Tod und Auferstehung, der Kreislauf vom Irdischen hinauf zum Kosmischen, vom Kosmischen wieder herunter zum Erdendasein.

Wir haben den rhythmischen Wechsel von Tag und Nacht als kleinen Rhythmus, den Jahreszeitenwechsel als größeren, der in sich schließt den kleineren. Die Jahreszeiten gehen auf in dem Großen Rhythmus des Umlaufs der Sonne um die Erde und so steigen wir immer höher und höher, wir kommen vom kleinsten zum größten, vom größten zum kleinsten wieder zurück.

Wir sehen die himmlischen Rhythmen der Planetenumläufe, das Hereinwirken der himmlischen Rhythmen in die irdischen, in das Menschliche, Tierische, Pflanzliche, ja sogar in das Mineralische.

Sehen wir uns den dreigliederten Menschen an. Den Sinnesnervenmenschen oben im Haupte zentralisiert, den Stoffwechsel-Gliedmassen-Menschen mit seinem Zentrum nach unten. Zwischen diesen beiden polaren Systemen ist eingeschaltet das rhythmische System, die Brustorgane Herze und Lunge, Zirkulation und Atmung. Da spielen die ausgeglichenen Kräfte hinauf in das Sinnesnervensystem, hinunter in den Stoffwechsel. Wir haben in der Milz das Organ, welches reagiert in der feinsten Weise auf Strömungen innerhalb des Zirkulationssystems und dessen Aufgabe es ist, regulierend einzugreifen zwischen Zirkulation und Stoffwechsel.

Wir finden Funktionen im menschlichen Organismus, die in längeren Rhythmen verlaufen und uns in gewissem Sinne die Abhängigkeit von den kosmischen Rhythmen zeigen. Z.B. die Menstruation. Sie fällt wohl nicht mehr mit den Mondphasen zusammen, in gewissem Sinne hat sie sich losgelöst vom Monde, emanzipiert; der Zeit nach fällt sie trotzdem zusammen mit dem Mondumlauf.

Nehmen wir die Gravität, sie wird nach Mondmonaten gezählt. 10 Mondmonate braucht der Menschenkeim zu seiner Entwicklung im mütterlichen Organismus. Da sehen wir das Ineinander spielen von kosmischen und irdischen Rhythmen.

Sehen wir die Pflanze an, wie sie hineingestellt ist in den Lauf der Jahreszeiten, in den Wechsel von Tag und Nacht. Viele Blüten schliessen sich, wenn die Sonne untergeht, und öffnen sich wieder, wenn die Sonne aufgeht. Es ist eine wunderbare Bewegung, die man so recht mitfühlen kann, wenn die Blume sich ausbreitet, um das Sonnenlicht in Empfang zu nehmen und sich am Abend erschauernd zurückzieht, in sich selbst verschließt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, unbefangen hinschauen kann auf alles das, was ihn umgibt in der Natur, und wer dann noch den Blick erheben kann zu der Sternenwelt, und erfühlen, erkennen kann, wie sich die ganzen Sternenhimmel zum Menschen herunterneigt und ihn aufnimmt, wer dann endlich dazu kommen kann, den Sternenhimmel in sich selber wiederzufinden, der Weiß sich eingebettet in den Großen himmlischen Rhythmus. Ein solcher Mensch kann sich dann auch wieder liebevoll versenken in jedes kleine rhythmische Geschehen hier auf der Erde und er such dazu die Brücke, die hinaufführt zum Kosmischen.

Dem Potenzierungsprozess liegt ein rhythmisches Geschehen zugrunde. Wenn man sich jahrelang intensiv beschäftigt, die Wirkungen der Potenzen zu zeigen, dann wird einem so manches lebendig und wertvoll, was dem Nicht-Experimentierenden leicht entgeht, ja notwendigerweise entgeht. Er sieht nur die fertigen Resultate, er kann den Entwickelungsweg nicht machen, er kann sich nicht einleben in den Prozess. Wenn man so vom Morgen bis zum Abend hin eine lange Reihe von Potenzen herstellt, immer wieder einen Bruchteil einer Flüssigkeit herausnimmt, mit Wasser verdünnt, dann schüttelt, um dann wieder von neuem zu beginnen, erlebt man es mit seinem ganzen Körper mit, wie da durchläuft ein rhythmisches Geschehen, das sich immer höher und höher steigert. Man bekommt ein feines Empfinden dafür, dass es nicht gleichgültig ist, wie lange man schüttelt und mit welcher Intensität man schüttelt. Man benützt, ich möchte sagen, ein bestimmtes Grundintervall, das man dann steigert. Und so wie es in der Mathematik eine andere Realität gibt, wenn ich die Basis 3 potenziere, als wenn ich die Basis 4 potenziere, so muss es auch ein anderes Resultat zeitigen, wenn ich als Grundintervall 50 Schüttelungen ausführe oder wenn ich eine Minute oder 2 Minuten lang schüttele.

Da kommen wir zu der Frage, welche Bedeutung hat das Schütteln für das Potenzieren? Es ist die Frage, was geschieht eigentlich, was geht vor mit der Substanz, wenn man z.B. ein homöopathisches Heilmittel zubereitet. Auf diese Frage gab Dr. Steiner in dem oben erwähnten Medizinerkurs folgende Antwort: „In der Zubereitung liegt es eigentlich. Es liegt in dem ganzen Vorgang des Zubereitens desjenigen, was man da macht.“

Man muss also den ganzen Vorgang studieren der Zubereitung eines homöopathischen Heilmittels. Ich will vorerst nicht eingehen auf „Verreibungen“, sondern nur die „Verdünnungen“ betrachten. Wie ich zu Beginn erwähnte, ist das Überführen des festen Körpers in die Lösung bereits ein ungeheurer Schritt. Der Körper wird wieder unter die planetarischen Einflüsse gestellt.

Das ist das erste, was man berücksichtigen muss, dass ich die Substanz, welche ich löse, mit dem Kosmos verbinde. Löse ich Eisen, stelle ich eine besonders starke Verbindung mit dem Planeten Mars her, löse ich Kupfer, verbinde ich die Substanz mit den Venuskräften usw.

Der erste Prozess der Potenzierung, den ich betrachten möchte, ist das Schütteln. Was geschieht mit der Substanz, wenn ich sie schüttele? Wie kann ich die Substanz dazu bringen, dass sie selbst es mir zeigt, was durch die Schüttelung geschehen ist? In meiner Schrift über „die physiologische und physikalische Wirksamkeit der kleinsten Entitäten“ wurden Versuche geschildert, die darin bestanden, Filtrierpapierstreifen in Potenzen einzutauchen. Die Flüssigkeit steigt in dem Streifen auf, erreicht eine gewisse Höhe, dann bleibt sie stehen. An der verschiedenen Steighöhe konnte man dann die Wirkung der verschiedenen Potenzen erkennen. Nimmt man reines Wasser und taucht einen Filtrierpapierstreifen ein, so kann man die Steighöhe des Wassers ermitteln. Am Streifen wird nichts weiter sichtbar als eine schmale gelbliche Zone, welche herrührt von den löslichen Stoffen im Filtrierpapier. Diese feine Linie zeigt die Grenze der Steighöhe an.

Nimmt man eine Flüssigkeit in der ein Farbstoff gelöst ist, dann bekommt man ein farbiges Bändchen. Der Prozess verläuft folgendermaßen: Das Filtrierpapier wirkt wie eine große Anzahl feiner Kapillarröhrchen und saugt die Flüssigkeit hoch. Schaut man den Prozess so an, dann gibt man dem Papier eine aktive Rolle und der Flüssigkeit die passive. Sieht man den Prozess auf die Weise an, dass man die Flüssigkeit also aktiv betrachtet, dann muss man es so ausdrücken: die Flüssigkeit steigt in dem Papier hoch. Die Flüssigkeiten steigen verschieden schnell. Die Schnelligkeit ist abhängig erstens von der Art der Flüssigkeit, zweitens von der Zusammensetzung des Filtrierpapiers. (Versuche, die man untereinander vergleichen will, muss man unbedingt mit gleichem Papier vornehmen.) Anfangs steigt die Flüssigkeit ziemlich rasch, so dass man mit freiem Auge leicht das Steigen verfolgen kann. Nach ungefähr 2 Stunden ist die Grenze erreicht.  (Das ist aber wieder ganz verschieden, je nach den Flüssigkeiten, die man verwendet.) Der Filtrierpapierstreifen ist feucht, aber noch nicht gefärbt. Der Prozess, der von unten nach oben verläuft, hat sein Ende erreicht. Die Flüssigkeit steht stille in dem Papierstreifen und ein zweiter Prozess beginnt, der von oben nach unten verläuft. Formbildende Kräfte werden wirksam. Es lagern sich an der Grenze die Farbstoffe allmählich ab, gewisse Formen dabei bildend. Dieser Prozess dauert viele Stunden. Aber wieder ist die Dauer abhängig von dem verwendeten Stoff. Wir stehen hier vor einer merkwürdigen Offenbarung durch die Substanz selber. Die Flüssigkeit ist formlos, in ihr sind gewisse Stoffe aufgelöst. Steigt diese Flüssigkeit in einem Papierstreifen hoch, hinterlässt sie nach Stunden ein Bild. Es ist eine Art Selbstphotographie der Substanz. Dieses Phänomen wurde oft und oft von uns beobachtet. Es legte mir den Gedanken nahe, diese Ausdrucksmöglichkeit der Substanz dazu zu benützen, die Veränderungen, welche die Substanz durch eine Schüttelung erleidet, sichtbar zu machen.

Wir verwendeten zu den ersten Versuchen den Extrakt der Kaffeebohne, der so hergestellt worden war, wie es Dr. Steine angegeben hatte zum Zwecke des Heilmittels. In 10 Gläschen hingen Steifen von Filtrierpapier, welche eintauchten in den Kaffee-Extrakt. In weiteren 10 Gläschen befand sich der gleiche Extrakt, der eine gelinde Schüttelung erfahren hatte. (Er wurde im Schütteltrichter 28-mal auf- und abgeschüttelt mit der Hand. Es sollte sich zeigen, ob durch das Schütteln eine Veränderung in der Steighöhe oder in den Formen der Randbilder eintritt. Nach 24 Stunden war die gesamte Flüssigkeit aufgesogen und der Papierstreifen getrocknet. Es waren in der Tat Veränderungen in der Steighöhe und im Bilde bemerkbar. Es wurden nun viele solche Versuche gemacht, mit immer steigender Schüttelunsanzahl (7, 14, 21, 28, 35, 42 usw.). Bei einem Besuch von Herrn Dr. Steiner im Biologischen Institute durfte ich die Bilder vorlegen. Er besah sie eingehend und fand die Methode gut. Nur waren die Schüttelungen noch ungenügend. „Sie müssen so lange schütteln, bis Sie eine horizontale Linie erreicht haben, dann ist der Stoff homogen.“ Auf meine naive Frage, wie lange da ungefähr geschüttelt werden müsse, antwortete Dr. Steiner: „Ja, da müssen Sie eben ausprobieren.“

Nun gab es eine ziemlich anstrengende Arbeit durch Wochen hindurch. Wir steigerten die Schüttelungen ganz langsam erst, indem die Schüttelschläge gezählt wurden. Der aufmerksamen Beobachtung zeigten sich immer zwischen den einzelnen Schüttelungen Veränderungen des Bildes, aber die horizontale Linie wurde nicht erreicht. Die Schüttelungen führten wir mit der Hand aus. Zuletzt schüttelten wir in größeren Intervallen ½ Minute, 1-1/2 Minuten usw. bis 15 Minuten. Wir wurden selber dabei ganz durchgeschüttelt. Besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde bei dieser Prozedur die Armmuskulatur und der Kopf. Unser Gehirn wackelte zum Schlusse immer mit. Aber – wir fanden die Horizontale. Als Dr. Steiner wiederkam, konnten wir ihm Bilder zeigen, die seine Zustimmung fanden. Der Stoff war „homogen“ geworden durch die Schüttelung.

Auf beifolgender Tafel bringen wir das Bild in photographischer Reproduktion. Die obersten 10 Streifen sind der ungeschüttelte Kaffee-Extrakt. Die Streifen sind, jeder um dasselbe Stück, von unten beschnitten, damit das Bild nicht zu groß wird. Die ersten 10 Streifen zeigen eine durchschnittliche Steighöhe von 10,1 cm. Innerhalb der 10 Streifen gibt es Schwankungen in Bezug auf die Höhe. Die Differenz zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Streifen beträgt 27 mm. Die Konturen der Ränder sind unruhig, flackernd.

Die zweite 10 Streifen entstanden aus Kaffee-Extrakt, der 28-mal gelinde geschüttelt. Die Steighöhe ist herabgesetzt auf 9,9 cm. Die Differenz in der Steighöhe zwischen dem niedersten und höchsten Streifen ist ebenfalls kleiner geworden. Sie beträgt nur 16 mm. Die Konturen machen einen etwas ruhigeren Eindruck.

Die dritten 10 Streifen wurden 2-1/2 Minuten geschüttelt.  Die Steighöhe ist weiter gesunken, auf 9,0 cm. Die Differenzen zwischen den einzelnen Streifen betragen nur mehr 3 mm. Die Bilder flackern nicht mehr wild nach oben, sondern bilden eine ruhige horizontale Linie. Das Wesen der Substanz hat eine bedeutende Veränderung erfahren. Wir wollen zum Vergleich die Zahlen einander nochmal gegenüberstellen.

Durchschnittliche Steighöhe desungeschüttelten Stoffes10,1 cm
 28-mal geschüttelten Stoffes9,9
 2-1/2 Minuten lang geschüttelten Stoffes9,0
Steighöhen-Differenz beimungeschüttelten Stoffes2,7
 28-mal geschüttelten Stoffes1,6
 2-1/2 Minuten lang geschüttelten Stoffes0,3

Wir sehen also ein fortschreitendes Sinken der Steighöhe und ein Abnehmen der Differenzen innerhalb der einzelnen Streifen.

Über diese Versuche soll dann noch weitergeschrieben werden.

Aus: Natura, Eine Zeitschrift zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlicher Menschenkunde, Juli 1926, Heft 1.